Autopilot in der Binnenschifffahrt: Bundesbehörde plant strengere Regeln

05.11.2025 14:15 Uhr | Lesezeit: 4 min
Toranfahrung an der Moselschleuse St. Aldegund
Schleuse bei Müden an der Mosel – nach dem Unfall mit einem Autopilot-System sollen Assistenztechnologien wie TGAIN künftig strengeren Sicherheitsauflagen unterliegen.
© Foto: WSA Mosel-Saar- Lahn

Nach einem Schleusenunfall auf der Mosel rücken digitale Autopilot-Systeme in den Fokus. Die Bundesregierung plant strengere Sicherheitsauflagen für den Einsatz solcher Assistenztechnologien in der Binnenschifffahrt.

Ein gravierender Schleusenunfall auf der Mosel Ende 2024 hat die Diskussion um digitale Steuerungssysteme neu entfacht. Die Bundesregierung plant nun verbindliche Sicherheitsauflagen für sogenannte "Track Guidance Assistant for Inland Navigation" (TGAIN), die bisher national und international ohne klare Regulierung eingesetzt werden, meldete die Tagesschau.

Unfall auf der Mosel als Auslöser für neue Regeln

Im Dezember 2024 kollidierte ein Güterschiff mit einem Schleusentor bei Müden. Der Schaden betrug über fünf Millionen Euro, der Schiffsverkehr war wochenlang unterbrochen. Laut Strafbefehl, der dem SWR vorliegt, wie die Tagesschau vermeldet, steuerte der Schiffsführer das Schiff bis vier Sekunden vor der Kollision mit einem TGAIN-System und fuhr mit „unverminderter Geschwindigkeit von 13 km/h“ in den Schleusenvorhafen ein.

Was leisten TGAIN-Systeme

Die Systeme ermöglichen eine präzise Routenführung und sollen den Kraftstoffverbrauch senken. „Das erleichtert nicht nur das Steuern, sondern spart auch Treibstoff“, erklärt Alexander Lutz von der Stuttgarter Firma Argonics der Tagesschau, die das betroffene Schiff mit dem System „Track-Pilot“ ausgerüstet hatte. Lutz warnt: „Vor einer Schleuseneinfahrt rate ich dringend, den Track-Piloten zu deaktivieren.“ Auch die Geschwindigkeit des Schiffs müsse trotzdem manuell eingestellt werden.

Unfallursache ungeklärt

Ermittler schließen einen technischen Defekt aus. In Insiderkreisen werde vermutet, der Schiffsführer habe einen „Blackout“ erlitten, meldet die Tagesschau weiter; Sein Anwalt äußerte sich nicht.

Der Duisburger Gutachter Marco Reinhart hatte den Unfall bei Müden für die Ermittlungsbehörden untersucht. Ihm zufolge habe es Anfang des Jahres mehrere Unfälle gegeben, bei denen ein TGAIN zum Einsatz gekommen sei: „Ich allein hatte etwa drei Fälle im ersten Quartal. Das war schon außergewöhnlich.“

Förderung und Verbreitung der Systeme

Seit November 2023 unterstützt die Bundesregierung die Anschaffung von TGAIN-Systemen mit bis zu 80 Prozent der Kosten. Ziel ist es, die Wettbewerbsfähigkeit „emissionsreicherer Verkehrsträger“ zu stärken und die „Gefahr von Schiffsunfällen“ zu senken, erklärt die Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt (GDWS) dem SWR.

Laut "Europäischem Ausschuss zur Ausarbeitung von Standards im Bereich der Binnenschifffahrt"  (CESNI) nutzen rund zehn Prozent der Schiffe auf dem Rhein solche Systeme. (Stand Juli 2024)

Geplante Sicherheitsmaßnahmen

Die GDWS will neue Vorschriften in die deutsche Binnenschifffahrtsstraßen-Ordnung aufnehmen. Vorgesehen sind:

  • Abschalten von TGAIN-Systemen im Schleusenbereich
  • Einsatz von geschultem Personal
  • Einführung eines Wachalarms („Totmannknopf“), der die Anwesenheit des Schiffsführers regelmäßig überprüft

Auch Versicherer fordern etwa Maßnahmen wie jenen Wachalarm.

Branche kritisiert zusätzliche Bürokratie

Der Bundesverband der Selbständigen Abteilung Binnenschifffahrt lehnt die geplanten Regeln ab. „Die übergroße Mehrheit der verantwortlich handelnden Schiffsführer wird für Fehlverhalten einer verschwindend kleinen Minderheit bestraft und mit überflüssigen Zusatzkosten belegt“, heißt es auf Anfrage des SWR. Eine Empfehlung für den Wachalarm sei aus Sicht des Verbands ausreichend.

Hersteller reagiert mit Software-Update

Argonics-Chef Lutz betont, dass sein Track-Pilot bereits einen Wachalarm integriert hat, der jedoch deaktivierbar ist. Nach dem Unfall wurde ein Update eingespielt: Deaktiviert der Schiffsführer den Track-Pilot nicht, ertöne vor Einfahrt in eine Schleuse ein Alarmsignal.

Kritik an Ein-Kammer-Schleusenbetrieben

Geschäftsführer des BDB, Jens Schwanen, hatte bereits kurz nach dem Unfall diesen als unvorhersehbares und sehr bedauerliches Ereignis bezeichnet:Dass der Fluss nun aber vorerst gar nicht mehr passierbar ist, hätte vermieden werden können, nämlich indem die seit Jahrzehnten beschlossene Erweiterung der Mosel-Schleusen um jeweils eine zweite Kammer zügig vom Bund umgesetzt worden wäre“, sagte er laut einer dpa-Mitteilung.

Ein-Kammer-Schleusenbetrieb bergen bei immer älteren und störanfälliger werdenden Bauwerken stets die Gefahr einer Vollsperrung, schrieb der BDB. Die Umsetzung von Wasserstraßenprojekten dauere viel zu lange, sagte Schwanen. Der Verband erwarte von der Bundesregierung ein Umdenken.

Auch die Industrie- und Handelskammern Saarland, Trier und Koblenz hatten in einem offenen Brief an Bundesverkehrsminister Volker Wissing (parteilos, damaliger Verkehrsminister) den raschen Ausbau aller deutschen Moselschleusen mit einer zweiten Schleusenkammer gefordert. 

HASHTAG


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